Begrabt mein Herz am Heinrichplatz – Lesung und Diskussion mit Dagobert Langhans und Sebastian Lotzer

“Die Demonstration an jenem 12. März 1977 hatte nichts Fröhliches und Heiteres. Lange, wütende Gesichter, Taschen voll mit Molotows und unter den Regenmänteln ahntest und wusstest du Waffen. Im Zentrum der absolut leeren und angstvollen Stadt bewegte sich der Demonstrationszug langsam auf der Suche nach Objekten voran, aber diesmal konnte es sich nicht darum handeln, einen Supermarkt zu enteignen oder private Wachleute zu entwaffnen. In Bologna hatte man uns einen Genossen ermordet und Angesicht dessen schien uns all das unangemessen. Über den Köpfen die üblichen Slogans voller Wut und Groll, einige wenige zeigten mit den Händen in der Luft das Symbol der Pistole….

Auf der Höhe des Corso Monforte hat der Demonstrationszug brüsk gestoppt. Wir rannten, um die Spitze zu erreichen und dort, vor uns, war das Polizeipräsidium, vollständig von mit Winchestern bewaffneten Carabinieri umlagert. Die Verantwortlichen der verschiedenen Gruppen der Autonomia sprachen leise miteinander. Sie fragten, ob wir von Rosso damit einverstanden wären, das Präsidium mit allen Mitteln anzugreifen.

Es genügt ein Augenblick, um zu begreifen, dass die illegalen Sachen, die wir gemacht hatten, damit sie Teil der Bewegung würden, im Begriff waren, sich gegen die Bewegung zu wenden. Der Einsatz von Gewalt dann nicht mehr im Dienst einer konflikthaften und harten Auseinandersetzung, sondern war dabei, ausschließlich Territorium derer zu werden, die jegliche Möglichkeit politischer Massenarbeit aufgeben wollten, um die Linie der bewaffneten Kampfes und der Illegalität zu wählen. 

In diesem Moment musste man der Illegalität jedoch sofort ein anderes Objekt als das Polizeipräsidium – aber genauso gewalttätig – anbieten, ein “Fluchtweg”, der ist “Rosso” erlaubte, noch mit den Resten an Bewegung, die es in Mailand gab, in einem Dialog zu treten und den mörderischen Zusammenschluss mit den Carabinieri zu vermeiden…

“Wir sind gegen einen Angriff auf den Staat, der Angriff liegt nicht im Interesse der Autonomia.” “Seht ihr nicht die Gewehre der Bullen, es wäre ein Wahnsinn!” Einige Flüche, Schimpfwörter, Rippenstöße. Schließlich reagierte der Zug und setzte sich in Bewegung. Die Parole zur Assolombarda zu gehen war weitergegeben worden. Ein Stoßseufzer der Erleichterung und im Kopf das klare Gefühl, sich in einer chaotischen Situation von enormer Tragweite zu befinden. Wir waren in eine Sackgasse geraten, wie wieder herauskommen?…

Gegen das leere Gebäude mit vielen Fenstern ein entluden wir alles was wir hatten. Mollies nach Belieben, Pistolen – und Gewehrschüsse. Die Fenster des “Kapitalistenhauses” zersprangen dass es eine Freude war. “Es brennt Junge, es brennt” hörten wir eine Stimme in uns. Und dann schnell weg.

Es war der letzte Versuch in Mailand die Situation der Bewegung mit den organisierten Gruppen der Autonomia zu verbinden, die bald im Schraubstock von Repressionen und Militarisierung verenden würden. Es war die letzte Demonstration, auf der sich das höchste Niveau des Zusammenstoßes und dann Bewaffnung – ohne Personen, Menschen anzugreifen – gezeigt hatte. Zwei Monate später, während einer Demonstration gegen die Repression, wurde der Polizist Custrà erschossen: Die Kampflinie hatte sich ins Ende der Bewegung verlagert.”  

Die goldene Horde – Primo Moroni und Nanni Balestrini

Ohne diese Zeilen, ohne die unglaublichen Wörter und Bilder, die Nanni Balestrini in “Die Unsichtbaren” für das Schicksal, den Schmerz, die Einsamkeit der Gefangenen der Revolte der 70er in den italienischen Knästen, in denen sie zu Tausenden besaßen, gefunden hatte, wäre der Roman “Begrabt mein Herz am Heinrichplatz” nie geschrieben worden. Während in Italien, auch heute noch, jedes Jahr neue Bücher über den Aufbruch und die Revolte, die das Italien der 70er prägte, geschrieben, gedruckt und veröffentlicht werden, sind bis dato gerade einmal eine handvoll Romane über die Revolte der Hausbesetzer, Autonomen, Startbahn-West-Gegner in Berlin, Hamburg, Frankfurt… erschienen.

2017 erschien die erste Auflage von “Begrabt mein Herz am Heinrichplatz” bei Bahoe Books. Es folgten zwei weitere Auflagen, trotzdem ist das Buch seit mehreren Jahren nicht mehr im Buchhandel erhältlich. Am 2. Juni erscheint nun die vierte Auflage des Romans, Anlass und Gelegenheit, um sich erneut mit diesen verschütteten Erinnerungen, die weit mehr sind als ein billiger Vorwand, jedes Jahr aufs neue am 1. Mai dem Aufmarsch neoleninistischer und neotrotzkistischer Sekten in Berlin beizuwohnen, auseinanderzusetzen, und sie in Bezug zu setzen zur allgegenwärtigen Leere und Ratlosigkeit, die sich überall breit gemacht hat. Diese Zeilen und Gespenster zu befragen, um dem ewigen Kreislauf von “Geschichte, die sich als Tragödie oder Farce wiederholt” vielleicht doch noch zu entrinnen. 

Nicht zufällig findet die Lesung und Diskussion im Kontext der Reihe “Gezeiten der Revolten” statt, eine Veranstaltungsreihe in Berlin, die im April 2024 mit einer Präsentation zur Broschüre über die Revolte der Banlieues im Sommer 2023 in Frankreich begann und am 12. Juli mit einer Podiumsdiskussion mit Ralf Reinders und Karl Heinz Dellwo zur Geschichte des bewaffneten Kampfes und in Solidarität mit Daniela Klette und den noch gesuchten Genossinnen und Genossen enden wird. Der Staat vergisst seine Feinde nicht, leider aber haben allzuviele ihre Feindschaft zum Staat, im Schatten von Corona Ausnahmezustand, “Zeitenwende” und “feministischer Außenpolitik” vergessen, oder um im Subtext von “Begrabt mein Heinrichplatz” zu bleiben, das Kriegsbeil begraben. 

Eine neue Generationen von “Barbaren” setzt zum “Sturm auf den Himmel” an, und während in vielen Teilen der Welt jene übriggebliebenen Reste des alten grundsätzlichen Antagonismus zu Teilen ihr altes Handwerkszeug, ihre eigene theoretischen und praktischen Erfahrungen, ihre Lehren aus den erlittenen Niederlagen und Demütigungen versuchen zu reflektieren, neu zu schmieden, um den Gegenwärtigkeiten der sozialen Konfliktualität gerecht zu werden, herrscht hierzulande eine Begriffslosigkeit vor, die sich u.a eben auch aus der nicht erfolgten Reflexion der eigenen Geschichte, der eigenen Kämpfe, speist, die entweder verklärt oder verleugnet werden. Weil die eigene Orientierungslosigkeit und der allgegenwärtige Konformismus, die Unterwerfung unter die Codes der Identitätspolitik alles blockieren und diffamieren, was sich in ein kritisch-solidarisches Verhältnis zu den Revolten des rassifizierten Subproletariats hierzulande (Silvester etc..) setzt.  

Die Aktualität einer Erzählung wie “Begrabt mein Herz am Heinrichplatz” ergibt sich aus der Verstoffwechselung dessen, was diese Bewegung der Besetzer und Autonomen erschaffen und über so viele Jahre immer wieder zum grundsätzlichen Angriff auf den Staat getrieben hat. Ein Verständnis davon, was ihre Begrenzungen waren und welcher Genese die Begrenzungen des Hier und Jetzt sind. 

Lesung und Diskussion anlässlich des Reprints von “Begrabt mein Herz am Heinrichplatz:” 

Sonntag, 16.6. 2024, 19:00 Uhr

Ort: LAIDAK

Boddinstr.42/43

Berlin Neukölln

Abschlussveranstaltung: Podium zur Geschichte des Bewaffneten Kampfes in der BRD – Solidarität mit Daniela Klette und allen gesuchten Genossen und Genossinnen

Podiumsdiskussion mit Karl Heinz Dellwo, Ralf Reinders, Lukas Theune (RA von Daniela Klette), Sebastian Lotzer – anschließend Soliparty

“Eine Linke, die es ernst meint mit ihrer Kritik an der Geschichte des bewaffneten Antagonismus in diesem Lande, müsste also ihre vordringlichste Aufgabe darin sehen, erstens die gegenwärtige Hatz und Eskalation durch die staatliche Seite zu denunzieren und zweitens ein Interesse daran haben, eine politische Situation zu schaffen, in der Menschen nicht für Taten verfolgt werden die über 30 Jahre her sind und die somit überhaupt in die Lage versetzt werden würden, die politische und menschliche Verantwortung für diesen geschichtlichen Abschnitt zu übernehmen.”

Sebastian Lotzer: Menschenjäger, Schreibtischtäter (März 2024)

Über 30 Jahre, nachdem die Rote Armee Fraktion “die bewaffnete Eskalation zurückgenommen hat”, ein Vierteljahrhundert, nachdem sich die RAF schließlich für aufgelöst erklärt hat, zogen erneut schwerbewaffnete SEK Einheiten durch Berlin, mit Schnellfeuerwaffen im Anschlag wurden nach der Festnahme von Daniela Klette Wagenplätze und Ferienwohnungen gestürmt um nach der Festnahme der Genossin auch Burkhard Garweg und Ernst-Volker Staub habhaft zu werden. Begleitet von einer medialen Hysterie kehrte der Ausnahmezustand in die Bundeshauptstadt zurück. 

Bis auf wenige Wortmeldungen und einer abendlichen Solidaritätsdemonstration in Kreuzberg blieben große Teile der radikalen Linken stumm in Wort und Tat. Deshalb und nicht nur deshalb gilt es den Versuch zu wagen, diesen bedeutenden Abschnitt der Geschichte des gesellschaftlichen Antagonismus politisch zu verteidigen und (selbst)kritisch zu reflektieren. 

Wir haben deshalb Menschen eingeladen, die in der Vergangenheit in den verschiedenen bewaffneten Ansätzen RAF und Bewegung 2. Juni gekämpft haben, bzw. aus der Verbundenheit von Teilen der Autonomen mit diesen Kämpfen stammen. Wir tun dies im Rahmen der Veranstaltungsreihe ‘Gezeiten der Aufstände’, die von April bis Juli 2024 an verschiedenen Orten in Berlin stattfindet und die den Versuch unternimmt, einen Bogen zu schlagen von den Revolten der französischen Banlieues über eine aktuelle marxistische Analyse des “Kapitalismus im Zeitalter der Katastrophe” bis hin zu dem neuen “grünen Akkumulationsregime” und dem neonihilistischen “Blessed is the Flame”. 

Unsere Solidarität, Liebe und Verbundenheit gilt allen Segmenten des weltweiten Überflüssigen-Proletariats, das zu einem neuen historischen “Sturm auf den Himmel” ansetzt ebenso wie all den Menschen, die aufgrund der geschichtlichen Notwendigkeit, sich in jeder Form der Praxis der konkreten faschistischen Formierung in Europa zu widersetzen im Knast sitzen oder gezwungen waren, unterzutauchen. Sie gilt ebenso allen Genossen und Genossinnen, die seit Jahrzehnten von Zielfahndungskommandos des Repressionsapparates gejagt werden, sei es weil sie in der RAF oder in autonomen Zusammenhängen aktiv waren, wie Thomas Walter und Peter Krauth, die seit 1995 wegen eines gescheiterten Anschlags auf den Neubau eines Abschiebeknastes in Berlin gesucht werden.

Freitag, 12.7, 19:00 Uhr

Abschlussveranstaltung der Reihe ‘Gezeiten der Aufstände’. Podiumsdiskussion zur Geschichte des Bewaffneten Kampfes in der BRD – Solidarität mit Daniela Klette und allen gesuchten Genossen und Genossinnen. Mit Karl-Heinz Dellwo, Sebastian Lotzer, Ralf Reinders, Lukas Theune (RA)

Anschließend Soliparty für die Repressionskosten

Jockel Biergarten, Ratiborstr. 14c, Kreuzberg

“Wie alles anfing” – Die Straßburger Thesen (Moses Dobruška)

Lesung und Diskussion der Thesen

Der unangebrachte Triumphalismus, gefolgt vom Schweigen über die Niederlage, sobald sie einmal erlitten ist, zeigt, sowohl bei Aktivisten als auch bei Gewerkschaftern, eine der perversesten Formen der Liebe der Linken zur Niederlage. Nicht existente Siege zu feiern, bietet die willkommene Gelegenheit, den endgültigen Rückzug oder, in den meisten Fällen, das völlige Fehlen einer Strategie zu verbergen. Man muss – trotz allem scheinbaren Widerspruch – davon ausgehen, dass die wahren Defätisten diejenigen sind, die stets positiv sind, nie aufhören zu applaudieren und sich selbst zu beglückwünschen. Und dass diejenigen, die “die Bewegung” schonungslos kritisieren, und am deutlichsten ihre Ablehnung einer dummen Niederlage zeigen, damit ihre Entschlossenheit zum Sieg demonstrieren.

Es gibt diejenigen, die siegen wollen, und diejenigen, die anerkannt werden wollen – d. h. diejenigen, die es als Sieg ansehen, anerkannt zu werden. Der wahre Sieg bezieht sich nicht auf den Feind, sondern auf die Möglichkeit, im Anschluss an taktische Erfolge eigene Pläne zu entfalten. Dazu muss man allerdings erst einmal welche haben.

Moses Dobruška, November 2023

Wenn in Frankreich angesichts des narzistisch-nihilistischen Schachzugs des petit roi Macron, Neuwahlen auszurufen, die ‘Volksfront’ wiederbelebt wird, was ebenso geschichtsvergessen wie intellektuell ein grenzdebiles Vorhaben repräsentiert – was die verzweifelten Linken und diversen Szeneblasen nicht daran hindert, sich auf ein schon vor einem knappen Jahrhundert totgerittenes Pferd zu schwingen – ist es endgültig an der Zeit – sich allen Anstrengungen, die sich ansatzweise wieder an einer antagonistischen Analyse und damit in den Bemühungen, in die Offensive zu kommen, wieder auf der Höhe der Zeit zu agieren – zu widmen.

Was kommt da mehr gelegen, als sich den “Straßburger Thesen” zuzuwenden, einem weiteren Konglomerat aus jenen französischen Zirkeln, die seit 2008 die ganzen Theoriegebäude der Linken hinweggepustet haben, wie der Wolf die armseligen Stroh-und Holzhäuschen der 3 kleinen Schweine. Nun, da der ‘Ansturm der Barbaren’, der seit 2011 die Welt unaufhörlich in Aufruhr versetzt hat, sich selbst in einer neuen Subjektivität erschaffen haben, (was in fast allen linken Lesarten dieser Epoche der Aufstände verschwiegen und negiert wurde und wird), einen Moment lang neuen Atem schöpft, sich alles im Angesicht von Krieg in der Metropole selbst und geopolitischer Neuordnung neu sortieren und vergewissern muß, ist vielleicht der Moment der Muße möglich, zu diskutieren, wie der nächste ‘Sturm auf den Himmel’ zu organisieren ist.

Die Linke, und auch jene Dissidenten, die sich in letzter Zeit (endlich) von eben jener Linken abgewandt haben, reden unentwegt von Niederlagen, Zweifeln, Begrenzungen und Hoffnungslosigkeiten. Selbst da, wo wieder ein gewagter Geniestreich der neuen aufständischen proletarischen Generation eine weitere offensive Operation durchgeführt hat, begegnet diesen aufständischen Operationen immer wieder ein schier unglaubliches Maß an Zweifeln, innerer Distanz und selbstgenügsamem Defätismus jener (neuen) Dissidenten. Dabei ist es ebenso naheliegend wie unausweichlich, wo wir stehen. Oder wie es einige italienische Gefährten vor kurzem feststellen:

Der Kapitalismus verschärft die wirtschaftliche und soziale Polarisierung, so dass die neuen kämpfenden Kräfte nichts mehr fordern und sich in der Tat kollektiv als Alternativen zum Kapitalismus präsentieren (das in den USA und im Vereinigten Königreich aufgetretene Phänomen, dass Hunderte von jungen Menschen Geschäfte stürmen und sich auf TikTok organisieren, ist kurios). Sie sagen einfach noch nicht, was sie anstelle der gegenwärtigen Produktionsweise wollen, aber wenn sie es täten, würden ihre Forderungen zur Macht der Partei der Revolution avancieren.”

All das, und noch viel mehr wollen wir mit Euch anlässlich der Veranstaltung zu den “Straßburger Thesen” diskutieren.

Die vollständige, aktualisierte deutschsprachige Fassung findet sich hier. 

Montag, 24.6., 20:30 Uhr

Ort: Montagsbar

Fehrbelliner Straße 6

Berlin, Prenzlauer Berg

Begrabt mein Herz am Heinrichplatz

Dagobert Langhans und Sebastian Lotzer

“Der Autor, ‘der in Wirklichkeit ganz anders heißt’, beschreibt in seinem Roman das Leben seines Alter Ego Paul in der autonomen Szene Westberlins zwischen 1980 und 1995. Paul ist in Berlin geboren und stößt als Schüler zur Hausbesetzerbewegung. Nach deren Zerfall beteiligt er sich an den weiteren Aktionen, Kampagnen und Debatten der Autonomen. So ist das Buch in 45 Szenen unterteilt, die in zwei große Blöcke gegliedert und chronologisch aufgebaut sind. Dabei schafft es der Autor unglaublich gut, den Ton jener jungen Menschen zu treffen, die wie der bekannte Klaus-Jürgen Rattay, dem Kapitalismus, der Repression durch alte Strukturen entfliehen und frei sein wollten.

Es ist der Versuch einer Rekonstruktion autonomer Praxis. Unwahrscheinlich fesselnd beschreibt Lotzer detailreich diverse Straßenkämpfe und Debatten, das Leben in den besetzten Häusern, aber auch seine Nachtschichten bei der Post, und kreiert ein sehr authentisches Bild der Szene in dieser hochpolitischen Zeit.

Begleitet wird der Roman von einem sehr umfangreichen Webarchiv, zu erreichen unter http://heinrichplatz.bahoebooks.net, in welchem der Autor sehr gut recherchiertes historisches Hintergrundwissen samt Zeitungsartikeln, alten Videoaufnahmen und Tonspuren zusammengetragen hat.

Ein wirklich ungewöhnlicher Roman, erschienen in einem ungewöhnlichen Verlag, nämlich einem selbstverwalteten Kollektiv in Wien, der als bisherigen Programmschwerpunkt aufständische und revolutionäre Geschichte der europäischen Arbeiterbewegung hat.”

(Rezension des Buchladen Kollektivs Saarbrücken)

Anlässlich des Reprints des vergriffenen Bewegungsromans “Begrabt mein Herz am Heinrichplatz” liest Dagobert Langhans aus dem Buch, anschließend besteht die Möglichkeit der Diskussion mit dem Autor.  

Sonntag, 16.6. 2024, 19:00 Uhr

Ort: LAIDAK

Boddinstr.42/43

Berlin Neukölln

Die Ekstase der Spekulation. Kapitalismus im Zeitalter der Katastrophe

Lesung und Diskussion mit Achim Szepanski

Danach: Zeit für Bier & Musik

“Spekulativer als spekulativ, das ist die Ekstase des spekulativen Kapitals. Mit einem Blick auf Baudrillard erweist sich die Spekulation als der Modus einer schwindelerregenden Vervielfältigung des Kapitals, als eine transfinite Pornographie des Geldes, die uns totalitär in Beschlag nimmt. Es kündigt sich ein schwereloses Finanz-Kapital an, das in einer Orbitalbewegung mit Lichtgeschwindigkeit zirkuliert.

Der Globus mutiert zum vernetzten und durchgehend geöffneten Finanz-, Handels-, Einkaufs- und Produktionszentrum, mit einem Überfluss von Derivaten, Produkten, Dingen und Informationen (und Müll). Das Über regiert: Überspekulation, Überakkumulation, Überschuldung und Überverschmutzung.  Es ist die spekulative Kapitalisierung, die – untrennbar verbunden mit dem Aufstieg der vernetzten Computer – in Folge von ekstatischen Steigerungsexzessen zum Über geführt hat: Zu viel Kapital, aber auch zu viele Bilder und zu viele Zeichen, die jeglichen historischen Sinn neutralisieren und eine weiße Zensur durch Exzess ausüben.

Eine Ökonomie, die mit immer mehr Zahlungsversprechen auf die Zukunft gefüllt ist, welche wahrscheinlich gar nicht eingelöst werden können, ist eine grotesk aufgeblähte Ökonomie, die nicht in der Lage sein wird, den in ihr angesammelten Überfluss und Müll zu entladen. Die daraus resultierenden gegenwärtigen ökonomischen, sozialen und geopolitischen Spannungen und Konflikte, für deren Kennzeichnung der Begriff der »Polykrise« gebraucht wird, weisen auf einen katastrophischen Kapitalismus hin, man denke an das globale finanzielle Kapital und seine Blasenbildungen (die durch Zentralbanken gefördert wie reguliert werden), an die Verschuldung und Inflation, den schwelenden Konflikt zwischen den USA und China, die Tendenzen einer zunehmenden Faschisierung oder an die Klimakrise.

Bei Katastrophen sind politische Funktionen, die Ökonomie und die materielle und soziale Fabrik gestört oder so weit unterbrochen, dass eine Rückkehr zur Normalität in weite Ferne rückt. Die Katastrophe ist ein Loch zwischen davor und danach, das durch die alte Rationalität nicht absorbiert werden kann, während eine neue Normalität auf sich warten lässt. Man könnte die Katastrophe auch eine Black Box nennen, in der die Rationalität des Modellierbaren, des Wissbaren und des Vorhersehbaren zusammenbricht. Die Rede von der Katastrophe darf aber nicht dazu führen, dass der kritische Diskurs sich in die Idee der eigenen Zukünftigkeit verliebt, um sich zum Schluss einer Konservierung zuzuwenden, der des Planeten, der Humanität und der Kultur der Konsumtion (während das spekulative Kapital die Zukunft kalt und rational kalkuliert). So würde man nur das Spektakel des Endes der Welt oder der Apokalypse medial produktiv machen.

Die Schafe haben die Bestien der Apokalypse abgelöst. Der Höhepunkt des Zusammenbruchs wird sich selbst filmen, seine eigene Dauer dokumentieren, noch bevor er eintritt, den Sieg des Endes filmen, die Auslöschung der Weltbevölkerung als Testfeld für die Möglichkeiten des reinen filmischen Exzesses.”

Samstag, 25.5., 20:00 Uhr

Ort: ‘West Germany’

Skalitzer Straße 133

Berlin – Kreuzberg

Zeitalter der Ökologie – Das neue Akkumulationsregime

Oder: Warum diese Welt nicht zugrunde gehen wird

Vorstellung der Broschüre der Gruppe “La cabane qui brûle”

Die Welt wie wir sie kennen, befindet sich im Umbruch. Viele reden von einem Rechtsruck, gar einer Faschisierung, also der Rückkehr des historischen Faschismus in neuem Gewand, andere wiederum von der finalen Krise des Kapitalismus, gar dem Untergang der menschlichen Zivilisation; wobei sich beide Deutungen gegenseitig nicht ausschließen. Die Broschüre „Zeit der Ökologie“ möchte eine dritte Position behaupten: Wir stehen vor der Möglichkeit eines Ökologischen Akkumulationsregimes, das die bestehende Katastrophe in einer neuen Qualität fortführen wird. Dieses wird sich quer zu oben genannten Deutungen, eben durch all das und gerade eben nicht durch all das auszeichnen: Grüner Totalitarismus, Stabilität in Instabilität und Entmenschlichung der Menschen. In der Veranstaltung soll diese Position auf drei Ebenen skizziert werden: der Ökonomie, der Ökolokratie und der Ökologischen Subjekte. 

Erneuerbare Energien und Technologien, Robotisierung, Biotechnologien und Algorithmisierung sollen neue Akkumulationsfelder erschließen. Das politische Regime im Katastrophenverwaltungsstaat, die Ökolokratie, suggeriert die Kontrolle der (vermeintlichen) Katastrophen durch die Reduktion des Körpers auf den Leib und der Kolonialisierung der Seele, durch handfeste Bio- und Nekropolitik. In dieser Umwelt zeigen sich vage die ersten Konturen der ökologischen Subjekte: nach dem Neoliberalismus kehrt die Gesellschaft als Bezugspunkt in den Subjekten zurück. Die Gesellschaft nimmt dabei allerdings nur die bildliche Oberfläche unseres Selbst ein, obwohl ideologisch eine gegenseitige Abhängigkeit und Verantwortung propagiert wird. So kehrt die Gesellschaft als Antigesellschaft und die Moral als Antimoral zurück. Ausgehend von dieser Position möchten wir mit euch in die Diskussion kommen und uns auch die Frage stellen, ob und wie es möglich ist, sich dieser entstehenden Totalität zu entziehen.

Dienstag, 14. Mai, 19:00 Uhr 

Ort: LAIDAK

Boddinstr.42/43

Berlin Neukölln

Blog zur Broschüre:
https://inferno.noblogs.org/zeit-der-oekologie/

Pour Nahel. Anthologie der Aufstände

“Wo sollen wir anfangen? Bei den Aberdutzenden von Bullenwachen, die wir gestürmt, verwüstet und in Brand gesetzt haben? Bei den tausenden von Geschäften, die wir spontan oder generalstabsmäßig gestürmt und leergeräumt haben? Bei den zahllosen Hinterhalten, die wir für die Bullen gelegt haben? Sollen wir davon berichten, wie die im Viertel allseits bekannten und berüchtigten Bullen der BAC endlich auf die Fresse bekommen haben? Sollen wir Euch davon erzählen, wie sie die Sondereinheiten in die Banlieue von Nanterre geschickt haben, und die sich dann im Geschosshagel unserer selbstgebauten Mörser zurückziehen mussten? Sollen wir Euch eine Liste der in Waffengeschäften und Bullenwachen erbeuteten Waffen zukommen lassen, damit Ihr uns endlich glaubt, dass wir uns nicht weiter von den Bullen abschlachten lassen? Nicht die Antiterroreinheiten haben Eurer Regierung den Arsch gerettet, sondern unser Langmut und unsere Weigerung, weitere Brüder begraben zu müssen”

Am Sonntag den 28.4. um 19:00 Uhr stellen die Personen hinter der übersetzten Broschüre „Pour Nahel – Anthologie der Aufstände“ in einem Kurzfilm Beitrag ihre neueste Arbeit in Berlin vor.

Zu Beginn präsentieren sie einen persönlichen Blick auf die Situation vor der Ermordung Nahels in Frankreich und die eigenen Erfahrung innerhalb der Demonstrationen gegen die Rentenreform, gefolgt von Eindrücken während der Riots aus den Nächten in Strasbourg und untermalt von kompromisslos zusammengeklauten Bildmaterial.

Anschließend folgt eine Vorlesung aus der Broschüre und ausgewählter Texte, die während und nach den Émeutes veröffentlicht wurden.

Sonntag, 28. April 2024, 19:00 Uhr

Ort: LAIDAK

Boddinstr.42/43

Berlin Neukölln

Komplette Broschüre als PDF:
https://nahelanthologie.blackblogs.org/

Ankündigungstext

“du gehst nicht, alter, das ist dein problem, und das schon, so lange ich dich kenn. immer das bein frei hoch, aber dann doch nicht den schritt machen. so stehst du da rum in der landschaft, du tänzer, mittendrin angehalten.”

Christian Geisslerkamalatta

In der gegenwärtigen BRD, in der nicht mal ein Hauch von Grundsätzlichkeit zu spüren ist; in der es weder eine radikal-handelnde noch eine frei-denkende “Linke” gibt; fast nichts, woran wir anknüpfen können, überlassen sich allzu viele, die einmal mehr und anderes wollten, ihrer Agonie und ihren wahlweise kleinbürgerlichen, liberalen, künstlerischen, sozialdemokratischen, konservativen oder sonstwie privatistischen Wunschphantasien. Gegen den Gedanken eines kompromisslosen Dagegen sind heute viele, und gerade viele Erfahrende geimpft – sie schweigen, zum Wahnsinn des Ausnahmezustands und des Krieges, obwohl sie es besser wissen und anders wollen und auch ahnen, dass angesichts der totalen Verwüstung, die das Covid-Regime und seine bereitwillige Adaption angerichtet hat; angesichts der überall durchschlagenden Formierung dieser Gesellschaft noch ganz andere Dinge anstünden als ein paar entglaste Geschäfte in der Stuttgarter Innenstadt oder einige mit Böllern beschossene Bullen in Berlin-Neukölln. Aber selbst diese kleinen Ausbrüche sind eine Randerscheinung: Vorherrschend sind emsiges Angepasstsein, dumpfe Folklore und staatstragende Bekenntnisse.

Wir können uns selbst hassen ob der verzweifelten Lage und uns der Depression freimütig hingeben. Oder wir richten, wo uns der konkrete Halt einer kämpfenden Bewegung fehlt, fragend den Blick in die Vergangenheit und ins Ausland. Deutschland, Frankreich, Italien. Die 70er, 80er, 90er – und das Beste von Heute. Nicht, weil wir Schwärmer und Romantiker sind, das sind wir selbstverständlich auch, sondern im ganz nüchternen Wissen um die Notwendigkeit eines grundlegenden Antagonismus zur Staatsmacht. Wenigstens als vage Idee und Erinnerung – wollen wir festhalten, dass das, was ist, nicht alles ist. Zugleich erinnern wir uns aber, dass Ideen nur eine Bedeutung haben, wenn ihnen auch praktisch Nachdruck verliehen werden kann. Und umgekehrt: Dass der handfesten Tat stets ein erhellender Gedanke zur Seite springen muss, soll die Bresche, die der Aufstand in die Festung der Ordnung schlägt, nicht im allgemeinen Spektakel sofort wieder zu gekleistert werden.

Aus dem Zustand absoluter Schwäche, Isolation und Defensive ausbrechen können wir bloß, wenn wir überhaupt wieder den Willen aufbringen, aus den erdrückenden Trümmerbergen etwas Neues aufzubauen. Deshalb also, um uns der omnipräsenten Ermüdung und Ermattung entgegenzustemmen, wollen wir uns versammeln. Im Kleinen, an einigen Abenden und Orten. Uns einigen Splittern und Scherben, die geblieben sind, zuwenden und dem wenigen wertvollen zuhören, das hierzulande noch zum Aufstand gedacht, gesagt, geschrieben oder übersetzt wird.

Zum Programm


Programm

Sonntag, 28. April, 19:00 Uhr

Pour Nahel. Anthologie der Aufstände 

Vorstellung der gleichnamigen Broschüre über die Riots in Frankreich im Sommer 2023. (Multimedia inklusive!)

Zur Veranstaltungsankündigung

Die Broschüre kann hier als PDF heruntergeladen werden:
https://nahelanthologie.blackblogs.org/

Laidak, Boddinstraße 42/43, Neukölln


Dienstag, 14. Mai, 19:00 Uhr 

Zeitalter der Ökologie, Das neue Akkumulationsregime

Vorstellung der Broschüre der Gruppe ‘La cabane qui brule’.

Zur Veranstaltungsankündigung

Die Broschüre kann hier als PDF heruntergeladen werden:
https://inferno.noblogs.org/zeit-der-oekologie/

Laidak, Boddinstraße 42/43, Neukölln


Samstag, 25.5., 20:00 Uhr

Die Ekstase der Spekulation. Kapitalismus im Zeitalter der Katastrophe 

Vortrag von Achim Szepanski.

Zur Veranstaltungsankündigung

(Danach Zeit für Bier & Musik)

Ein Auszug aus dem Buch hier:
https://non.copyriot.com/wp-content/uploads/2023/10/Dokument1.pdf

West Germany, Skalitzer Straße 133, Kreuzberg


Sonntag, 16.6., 19:00 Uhr 

Begrabt mein Herz am Heinrichplatz

Lesung anlässlich der Neuauflage des Bewegungsroman mit dem Autor Sebastian Lotzer.

Zur Veranstaltungsankündigung

Laidak, Boddinstraße 42/43, Neukölln


Montag, 24.6., 20:30 Uhr

Wie alles anfing – Die Straßburger Thesen 

Diskussion der vorher auf deutsch vorgelesenen Thesen.

Zur Veranstaltungsankündigung

Der Beitrag kann in deutscher Übersetzung hier gelesen werden:
https://olaf.bbm.de/nummer-43-moses-dobruska-wie-alles-anfing

Das französische “Original”:
https://entetement.com/comment-tout-a-commence/

Montagsbar, Fehrbelliner Straße 6, Prenzlauer Berg



Freitag, 12.7, 19:00 Uhr

Abschlussveranstaltung im Sommer: Podium zur Geschichte des Bewaffneten Kampfes in der BRD – Solidarität mit Daniela Klette und alle gesuchten Genossen.

Karl-Heinz Dellwo, Sebastian Lotzer, Ralf Reinders, u.a.

Zur Veranstaltungsankündigung

Danach Soliparty für die Repressionskosten

Jockel Biergarten, Ratiborstr. 14c, Kreuzberg